Die größte Erkenntnis, die mir Iran schenkte? Peter Scholl-Latour hat ja so recht mit seiner Aussage: *Ich bilde mir meine Meinung immer erst stets vor Ort.* Übertragbar auf das komplette Leben und für (mein) Iran.
Die größte Enttäuschung ging einher mit der größten Überraschung: die Reise nach Iran war NULL Abenteuer. Zero. Wieso ich mir das zumindest ein bißchen erhofft hatte, ist mir im Nachhin ein Rätsel. Vielleicht, weil wir oft so ernste Gesichter hier in Frankreich geerntet haben, wenn wir erzählten, wohin es diesen Winter geht. *Oh, Iran* - unterlegt mit einer Mimik, als hätte man gesagt: *Wir wollen uns diese Taliban mal aus der Nähe angucken*.
Iran ist eines der sichersten und einfachsten Länder, das ich je bereist habe. Ihr habt Europa noch nie verlassen? Ihr wollt zum ersten Mal eine islamisch geprägte Kultur erleben? Die erste Reise alleine als Frau? Dann fangt mit Iran an!
Iran ist ein hochindustrialisiertes Land mit einer perfekten Infrastruktur - etwas, was die Lebensumstände in Iran weit mehr prägen als die vorherrschende Religion. Und den Iran für mein Erleben weit weniger *wild* und *exotisch* machte wie in meinen Vorstellungen. Die Städte haben Metros/ Trams, für lange Strecken fahren schicke, neue VIP-Busse mit tollem Sitz-Comfort für wenig Geld auf Autobahnen in perfektem Zustand. Überall wird gebaut und die Touri-Hotspots auf Hochglanz poliert. Die Kriminalität gerade Touristen gegenüber ist nahezu nicht vorhanden, die Städte sind extrem propper geputzt. Und selbst wenn man mit viel Bargeld unterwegs ist (s. Währung), fühlt man sich stets sicher. In den Städten muß man Bettler und Penner suchen (verbringt mal ein Wochenende in Paris... nur so als Vergleich) und es gibt wunderhübsche Hotels in ehemaligen traditionellen Häusern, die der Inbegriff von einem Zuhause in einer Oase sind. Viele junge Iraner sprechen sehr gutes Englisch und wer nur Farsi spricht, wird ebenfalls gerne nach seinen Möglichkeiten hilfsbereit sein.
Eine weitere Überraschung für mich war, wie dezent der Muezin das Mikrophon benutzt. Da waren wir aber schon in Ländern, in denen man zum Aufruf des Morgengebets schier aus dem Bett fällt. Überhaupt möchte ich behaupten, dass die Familie den WEIT größeren Einfluß nimmt wie Religionsführer oder Regierungsoberhäupter. Kein Staat kann seine Bewohner so überwachen wie eine Familie ihre Mitglieder. Iran wirkte auf mich deutlich sekularisierter als erwartet.
Äh, und übrigens: habt ihrs bemerkt? Ich habe von Iran aus gebloggt. Gut, eigentlich sind Blog-Hoster gesperrt, aber das kann man ja umgehen (so ist das mit Verboten). Und wenn das sogar ein Technik-Honk wie ich schaffe, kanns nicht weiters kompliziert sein. Dass man diese virtuelle Mauer auch höher ziehen kann, kenne ich von Myanmar, wo sie mir beim Aufruf des Blogs die Nachricht *Blog gelöscht* anzeigten. Überhaupt funktionierte I-net gut (manche Social-Media wohl nicht, aber die nutze ich nicht) und auch die Perser sind ohne Handy in der Hand nicht vorstellbar.
Perser und Autofahren - nun, jetzt wird es schmutzig. Fasse ich es mal dezent in drei Regeln zusammen: Wer bremst hat verloren. Wer überlebt hat gewonnen. Fußgänger stellen kein Hindernis dar. Viel Freude allen Touris beim Überqueren einer Straße!
Über *Coutch-Surfing* (was unter Individualreisenden in Iran sehr beliebt ist) hatten wir uns
Gedanken gemacht, aber davon Abstand genommen, weil sich unser Verdacht
später durch Erzählung anderer bestätigte, dass diese Art der
Gastfreundschaft sehr leicht einher geht mit der Hoffnung auf Vorteile /Buisness/ Gegeneinladung - vorallem letzteres ist damit oft verbunden: die erhöhte Hoffnung auf eines der raren Visen. Deswegen fände ich es sehr unfair, die Gastfreundschaft lediglich als billige Unterkunft zu mißbrauen, wenn man nicht bereit ist, sich gleichwertig zu revanchieren.
Unterwegs kultivierten wir beide ein neues Hobby, das sog. *lustige Natinalitätenraten*. Irgendwie schwieriger wie sonst. Rund um das chinesische Neujahresfest überwogen die chinesischen Touristen. Schwer für mich darunter Nationen wie Korea, Malaysia und Singapur zu erkennen. Der Reiz des Ratespiels wurde erhöhrt durch die vielen gemischten Paare, die unseren Weg kreuzten: Schweizer-Thailänderin, Australier-Kandadierin, Schweizerin-Iraner (die in Australien lebten), Italiener-Chinesin... SO geht Welt 2.0!
Im Iran herrscht unter den Individualtouris ein straffes Programm: nicht länger als 1 bis 2 Nächte an einem Ort. Da könnte man eigentlich auch (fast) genauso gut eine Pauschalreise unternehmen.
Nicht selten hätte ich übrigens bei jungen Perser darauf getippt, dass es Israelis sind. Nicht nur optisch - auch von der Attitude... Was allerdings nicht sein kann, da Israelis kein Visa erhalten für Iran.
Iran ist das Land der Paschas, das Land der Pfauen. Eitelkeit wird groß geschrieben. Und die Buben wohl gerne verhätschelt. Wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass vorneweg die Frauen die Arbeit stemmen. Und viele Jungs auf vielen Perserteppichen rumlungern...
Ein Vorurteil bestätigte sich: es gibt wirklich ausgesprochen schöne Menschen unter den Persern. Nicht nur Frauen auch Männer. Hochgewachsene Jungs mit markanten Gesichtszügen, sinnlichen Lippen und Klimperwimpern. In Iran sollte sich doch verlieben lassen... Herrlich auch die Mode der Rauschebärte - der einzig wahre Räuber Hotzenplotz-Bart.
Nur weil hierzulande kaum bis gar nicht über die Ausbeutung durch Kolonialsimus berichtet wird, dürfen sich andere Länder wie Iran für mein Befürhalten berechtigt kritisch dazu stellen. Ebenso wie zu der israelischen Außenpolitik - ohne deshalb ansatzweise antisemitisch oder extremistisch zu sein sondern lediglich pazifistisch. Auch ich verurteile nicht nur Krieg im Allgemeinen sondern den Einsatz von international geächteten Phosphor-Bomben im Speziellen, den rigorosen Siedlungsbau, dem Errichten einer sehr fragwürdigen und gigantischen Mauer, sowie einigem mehr.
So, und beim nächsten Mal zum Thema *Kleiderordnung für Frauen* und *Kopftuch*....
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